"Optimisten, die wir sind"

9.9.2021

Litfaßsäule - Hal Art 2021

Das Magazin Frizz im Interview mit Renate Luckner-Bien

Die Kunstmesse "Hal Art" präsentiert mehr als 100 Arbeiten von Künstlerinnen aus ganz Deutschland. Das geht von Malerei, Grafik und Plastik über Keramik und Schmuck bis in zu Buchkunst, Illustration und Fotografie. Im Team der "Hal Art" ist auch Renate Luckner-Bien, die von 1993 bis 2014 die Öffentlichkeitsarbeit der Burg Giebichenstein leitete. Grund genug, bei ihr nachzufragen.

Hallo Frau Luckner-Bien, wie geht es Ihnen?
Gerade eben habe ich im Radio gehört, dass Kurt Biedenkopf gestorben ist. Als er in den sogenannten Ruhestand ging, hat er auf eine ähnliche Frage geantwortet: Ich bin kein Rentner, ich bin berufstätig.

Wie gestalten Sie derzeit Ihre Tage?
Ich arbeite an einem Buch über den Bildhauer Gustav Weidanz. Seine Plastiken am Ratshof und den Gänsebrunnen in Kröllwitz kennt in Halle wahrscheinlich jede und jeder. Oft, ohne zu wissen, wer diese wundervollen Kunstwerke gemacht hat.

Wann soll Ihr neues Buch erscheinen?
Im kommenden März. Dann wird die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle zum 21. Mal den Gustav-Weidanz-Preis vergeben. Über den Preisträger hat die Jury übrigens schon entschieden: Es ist der junge Bildhauer Willy Schulz aus Dresden.

Zur „Hal Art“, in welcher Verbindung stehen Sie zu dieser Kunst-Messe?
Die Kunst-Messe gibt es seit 2017. Ulf Herden als Veranstalter fragte mich, ob ich in der Jury mitarbeiten will. Damals war ich an der Burg noch in Lohn und Brot. Ich bin nicht die Einzige, die der festen Überzeugung ist, dass unserer Stadt eine Kunstmesse nicht nur gut zu Gesicht steht, sondern sie Sie wirklich braucht. Der Erfolg der ersten drei Ausstellungen hat das ja auch bewiesen. Grundsätzlich aber braucht es Geduld, mehr Zeit als die vergangenen vier Jahre und sehr viel mehr Unterstützer, damit sich so ein Format etablieren kann und überregional wahrgenommen wird. Optimisten, die wir sind, arbeiten wir vom Team der „Hal Art“ geduldig darauf hin. Das wird auch von den beiden größten Kunst-Institutionen in unserer Stadt getragen. So jedenfalls verstehe ich das Engagement des Kunstmuseums Moritzburg und der Burg Giebichenstein, deren Direktor respektive deren Rektor uns als Jury-Mitglieder unterstützt haben.

Was war und ist Ihre Aufgabe dieses Jahr im „Hal Art“-Team?
Als künstlerische Beraterin im Team der diesjährigen Messe war es meine Aufgabe, ein paar Dinge anzustoßen. So gibt es ein neues Grafikdesign und neben dem beliebten Publikumspreis, den wieder die Wohnungsgenossenschaft Freiheit vergibt, erstmals einen gut dotierten Preis für eine herausragende künstlerische Position. Dafür sind wir der Kunststiftung des Landes dankbar. Neu ist auch das  Ausstellungsformat „Profile“. Auf Einladung präsentieren Kunstgalerien aus Bad Belzig, Karlsruhe, Leipzig und Halle einige der von ihnen vertretenen Künstlerinnen und Künstler. Einmalig ist die temporäre Umbenennung des Foyers der Händel-Halle in Marguerite-Friedlaender-Platz. Es ist ein Signal der Messe an den Stadtrat: Überdenken Sie Ihre Entscheidung von Anfang des Jahres! Geben Sie der weltbekannten Keramikerin, die an der Burg
lehrte, bis die Nazis sie 1933 ihrer jüdischen Herkunft wegen vertrieben haben, den Namen einer Straße, eines Platzes eines Ufers, einer Allee …

„Ein Signal an Halles Stadtrat: Geben Sie Marguerite Friedlaender, der weltbekannten Keramikerin, den Namen einer Straße!“

Wie schauen Sie auf die heutige Kunstszene in Halle? Was ist gut? Halle ist eine großartige Kulturstadt. Mit zwei für die Kunst bedeutsamen Burgen. Das weiß man oft auch außerhalb von Sachsen-Anhalt. Es gibt so viele sehenswerte Ausstellungen in Galerien und Kunstvereinen, in Studios und Projekträumen. Und es gibt die Freiraumgalerie. Die bekommt in diesem Jahr den Halleschen Kunstpreis. Der Hallesche Kunstverein
wird die Arbeiten der Freiraumgalerie auf der Messe zeigen.


Was ist ausbaufähig?
„Ausbaufähig“ ist ein zu schwaches Wort. „Die Kunst“, das sind die freischaffenden Künstlerinnen, die Vereine mit ihren nicht-kommerziellen Projekten. Denken Sie an den einzigartigen Kunst- und Projektraum „hr.fleischer“, den Kiosk am Reileck, an die kleinen und größeren nicht-institutionellen Galerien, wie die Kunsthalle in der Talstraße. Sie alle brauchen, nicht nur coronabedingt, Unterstützung. Aber das weiß jeder, der
in der Kulturpolitik Entscheidungen zu fällen und Geld zu verteilen hat. Es geht aber um mehr, als einfach nur um die raren Fördermittel.


Sie haben Wünsche?
Ich wünsche mir, dass sich die Stadtverwaltung weniger mit sich selbst beschäftigt – und stattdessen Antworten sucht auf die Frage „Wie gelingt es, Halle als Kunststadt überregional bekannt zu machen?“.
In meinen Augen ist die „Hal Art“ ein kleiner Baustein zu diesem Ziel. Letztlich aber tragen wir alle, die wir hier leben, dafür Verantwortung.

Was macht die Burg heute so einzigartig?
Ich bin seit sieben Jahren nicht mehr die Pressesprecherin. Ich verfolge, soweit mir das von außen möglich ist, was passiert. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Das ist der Schule in ihrer langen Geschichte
immer wieder geglückt. Nehmen Sie ein Beispiel: In den 1970er Jahren standen im Design, damals auch Technische Formgestaltung genannt, Naturwissenschaften, Technik, Ergonomie und Arbeitsumweltgestaltung hoch in Kurs. Heute geht es um Nachhaltigkeit, Biotechnologie, Künstliche Intelligenz und Robotik. Die Burg hat jetzt Plattformen für disziplinübergreifende Forschungen gegründet, die sogenannten Burg-Labs. Nicht ganz nebenbei sei gesagt, dass den Studierenden unter den derzeit schwierigen Bedingungen eine sehens- und hörenswerte Jahresausstellung gelungen ist. Zurzeit kann man in der Burg-Galerie im Volkspark Meisterschülerinnen und Meisterschülern beim Abheben zusehen – „take off“ heißt es da.

 

Text: Matthias Schulze